Bei der Ankündigung, dass ihnen irgendwelche Fremden helfen würden, wurde es Korina mulmig. Was, wenn diese Nicht-SH-Leute sie verrieten, um das Kopfgeld für die Ergreifung der Terroristen, die Fürst Niccolo getötet hatten. Offiziell waren besagte Terroristen zwar schon gefasst und hingerichtet, aber wenn jemand wusste, dass sie in Wahrheit noch lebten, konnte dieser Jemand wohl auch Beweise über die Korruption des Markgrafs von Killius vorbringen.
Aber wenn ihnen der Helfer nicht gefiel, konnten sie ihn ja immer noch einen Kopf kürzer machen und die Operation auf eigene Faust durchführten. Jetzt ging es erst mal darum, für diese Operation die Stadt zu erkunden: Wo die Kirchen und Schreine waren, die sie angreifen sollten, und der beste Weg zu der Kathedrale, wo nicht nur der Bischof von Shalannsheim auftreten würde, sondern auch eine Fluchtroute zu finden war, der ideale Ort also für das große Finale des Anschlags. Während Korina durch die Straßen ging, fielen ihr auch einige beunruhige Dinge auf. Neben den normalen Kirchen des Spioradismus entdeckte sie auch eine Anlage, die sich mit Stolz zwischen die Gebäude quetschte und dem Schild davor zufolge ein Gebetshaus der Anhänger des Schwarzen Engels waren. Hier im Osten, außerhalb der großen Landeshauptstadt, hatte sich diese Sekte also schon gehörig an Einfluss verpasst. Korina wollte schnell weiter, als einige alte Frauen aus der Kirche kamen und sie ansprachen.
"Pater Dante? Schon wieder hier? Ich... oh, entschuldigen Sie, Sie sind gar nicht der gute Pater."
Eine andere Seniorin gab ihren Senf dazu.
"Hat er nicht eine Schwester? Dass musse sein, mit der Ähnlichkeit."
"Nein, nein, seine Schwester ist doch noch ein Kind. Zwei Schwestern vielleicht?"
Hier, weiter weg vom Machtzentrum des Kaiserreichs, hatte diese Sekte wohl schon mehr Fuß gefasst. Korina wollte etwas sagen, aber in diesem Moment meldete sich Nina zu Wort.
"Ähm, Korina, besser weg von hier, da kommen..." Korina musste sich gar nicht umdrehen, um zu wissen, wessen Schritte sie näher kommen hörte.
"Ah, so sieht man sich wieder. Die mysteriöse Fremde aus Jonis Vernal, die aussieht wie der Pater." sagte Dante, bevor er den alten Frauen die Hände schüttelte. Er trug wieder seine Maske des enthusiastischen Predigers.
"Margarete, Theresa, ich sehe, Medizin und Gebete schlagen an. Ein Hoch auf den Segen des Schwarzen Engels." Florence war ebenfalls anwesend. Sie sagte nichts, und stand nur mit eisigem Gesichtsausdruck und einem Stofftier in der Hand neben ihrem Bruder, und machte sich im Gegensatz zu ihm keine Mühen, als freundliche Jüngerin aufzutreten.
"Warum sieht die Dame denn nun aus wie Sie, Pater?" fragte Magarete.
"Das weiß wohl nur der Schwarze Engel. Vielleicht waren wir im vorherigen Leben Geschwister, vielleicht war es nur eine Laune der Natur. Eines ist sicher, Sie wären auch bei uns gut aufgehoben, meine Dame." Korina schlug sein Angebot zum Handschlag wortlos aus, während die alten Damen weitergingen und Tratsch austauschten.
"Was treibt denn denn hierher in die Provinz? Nur auf Durchreise?"
"Das geht Sie rein gar nichts an. Guten Tag." Korina wandte sich ab, da sagte er ihr hinterher:
"Fein, wenn du nicht reden willst, kann ich dir nur eine gute Reise wünschen. Der Schwarze Engel soll dich schützen. Und..." Auf einmal beschritt er schnell die Entfernung zwischen ihnen, damit er leiser reden konnte, ohne das Fremde mithörten.
"...beschwärz deine Hände nicht, Korina Grausee."
Als sie das hörte, wurde Korina aschfahl im Gesicht. Sie spürte einen starken Drang, ihr Schwert zu ziehen und Dante gewaltsam zum Schweigen zu bringen. Er wusste viel zu viel. Aber natürlich gab es hier zu viele Zeugen. Da kam Florence näher und hob den Kopf, um Korina mit einem gelangweilten Blick zu mustern. Jetzt fiel Korina aus, dass das kleine Mädchen ihr ebenfalls stark ähnelte. Wären ihre Haare nicht so fein säuberlich gekämmt, hätte Korina fast gedacht, sie starre in einen magischen Spiegel, mit dem man zehn Jahre in die Vergangenheit sehen konnte.
"Das ist sie also... es stimmt, sieht genauso aus."
Korinas Hand lag am Griff ihres Schwertes.
"Ihr habt genau fünf Sekunden, euch zu erklären."
"Och, ein Vögelchen hat uns was zugezwitschert. Aber ich glaube fest, das hier ist nicht unser letztes Treffen. Vielleicht lockert sich ja meine Zunge, wenn wir uns beim nächsten Treffen ein wenig anfreunden."
Und damit verzog sich der merkwürdige Prediger wieder. Korina setzte ihre Erkundung mit einem mulmigen Gefühl fort. Jedem Fremden, der das Symbol der Jünger des Schwarzen Engels trug, das sie bei deren Kirche und bei Dantes Halskette gesehen hatte, war sie automatisch misstrauisch gegenüber.
Als es dann Abend wurde, hatte sie sich alle wichtigen Routen gründlich eingeprägt, und kehrte zur SH-Basis dieser Stadt zurück, wo sich die Gruppe nach der Ankunft am Morgen aufgeteilt hatte. Für das Gespräch mit den Fremden, die helfen wollten, hatte man schon Masken für die Schwingen vorbereitet, um ihre Identitäten zu schützen. Die Städteherrin, d. h. die Leiterin aller Aktivität der SH in einer gegebenen Stadt, erläuterte, was es mit den Gesprächspartnern auf sich hatte. Gleich bei ihrem ersten Wort wurde es Korina mulmig zu mute.
"Unsere Geschäftspartner sind die Leute von dieser Sekte, die sich hier in letzter Zeit verbreitet hat. In gewisser Hinsicht Stammkunden von uns. Die geben sich öffentlich gern als reine Seelen, aber es gibt häufiger mal Schnüffler und Verräter, die verschwinden müssen. Da kommen wir ins Spiel, sie liefern uns jeden, den sie erwischen, als Ware für den Menschenhandel. Jetzt wollten sie einige unserer Leute für einen Terroranschlag anheuern. Eigentlich hätte sie das ja so einiges gekostet... aber nachdem ich Cassius einen Bericht geschickt habe, war er sehr interessiert. Und wenn er eine Berühmtheit wie Sie hergeschickt hat, Ocyta, muss es ja was ganz interessantes sein... was würde ich dafür geben, zum Kreis der Wissenden gehören zu dürfen."
Und somit wurden sie in den nächsten Raum geführt, und Korinas Beführchtungen bestätigten sich. Es erwartete sie niemand anderes als Dante und Florence. Die Städteherrin ließ die Schwingen mit dem gruseligen Geschwisterpaar allein.
________________________
@Tobi: @Soren: