Florence sah nicht ein, was daran das Problem sein sollte, etwas zu bestellen, das auf der Karte stand.
"Ich mag nun mal keinen Fisch." war ihre einzige Antwort. Aber dann hörte sie, dass Siradda gerne teilen wollte, sie hatte ja schon vorher gegessen und packte deshalb wohl kaum eine ganze Platte.
"Aber Garnelen probiere ich gerne einmal, falls du etwas abgeben willst, Siradda. Und wer will, kann auch von meinem Sauerbraten probieren. Das ist nicht jedermanns Geschmack."
Dantes Grund war hingegen ein anderer.
"Ich mag einfach Gemüse, aber bei Auswahl der Beilagen bei den Fischgerichten ist mir nichts so richtig ins Auge gefallen, daher der Eintopf."
Als die Gerichte dann da waren, probierte Dante zuerst einen Löffel seines Eintopfs und nahm dann die Essigflasche und den Pfefferstreuer, die in der Mitte des Tisches standen, um sein Gericht zu verfeinern. Florence verteilte währenddessen die Preiselbeermarmelade gleichmäßig auf ihren Bratenscheiben.
"Soll ich dir einen kleinen Auffrischer in Sachen Besteck geben, Siradda? Eine Dame sollte schließlich gut mit Messer und Gabel umgehen können." sagte sie, als sie sah, wie Siradda versuchte, sich wieder an das Tafelgeschirr zu gewöhnen.
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Sabeth hatte eigentlich nur kurz weg sein wollen. Schon kurz nach ihrer Ankunft in der Stadt heute Nachmittag hatte sie Gerüchte über eine maskierte langhaarige Killerin gehört, da hatte sie sich dafür interessiert, ob das wirklich der zweite Rabenteufel war, den man auch schon in Zarownidom gesichtet hatte. Zu ihrem Glück war sie der Maskierten auch begegnet, es handelte sich tatsächlich nicht um Korina. Dafür war ihr Geruch auf andere Art bekannt gewesen. Aber sie hatte sich länger ablenken lassen als gewünscht, jetzt musste sie schnell zu Mutter zurück. Schließlich waren sie aus einem bestimmten Grund hier in der Stadt...
Nach einigem Gehen war Genevieve an der angegebenen Adresse angekommen. Eine kleine, heruntergekommene Wohnung im ärmeren Teil der Stadt. Ihrer Recherche nach stand das Gebäude leer, es war wohl nur eine kurzfristige Bleibe für jene, die sie herbestellt hatten. Magische Trickserei konnte sie keine Spüren, aber man konnte nie zu sicher sein. Ihre Gleve hatte sie als Zeichen des guten Willens nicht dabei, aber im Notfall konnte sie eine aus Dunkelheit oder Eis machen.
Als sie klopfte, hörte sie nur ein gehauchtes
"Kommen Sie herein." Das Innere der Wohnung war abgedunkelt. Am anderen Ende konnte Gen eine Frau entdecken. Als diese mit einem Schnipsen eine Kerze entzündete und sichtbar wurde, merkte die Dämonin, dass ihre Gastgeberin sehr alt wirkte, obwohl sie eher jung aussah. Und dass sie auf einer Truhe saß Da waren auch zwei andere Personen, die Gen bisher nur durch Wärmeortung hatte sehen können. Sie waren jünger als die Frau, aber trotzdem scheinbar erwachsen, und die beiden sahen sich sehr ähnlich.
"Ihr habt gesagt, ihr wisst über den Verbleib meines Bruders?" fragte Genevieve misstrauisch. Das war in dem anonymen Brief gestanden. Sollte es sich bei den dreien um die Entführer selbst handeln, dann schienen sie keine Ahnung zu haben, was für einen Sturm sie gerade zu sich eingeladen hatten.
"So ist es. Und er hat uns etwas äußerst Interessantes gesagt." flüsterte die Frau zuckersüß.
"Ihr habt ihn also in eurer Gewalt?" Eine Spur von Zorn war in Gens Stimme zu hören, vom Ton einer Bärin, deren Junges in Gefahr war.
"Ganz so würden wir es nicht sagen. Er hat eher seinen Weg zu uns gefunden, nachdem eine gewisse Serienmörderin ihm einen Dolch in den Rücken trieb. Enoch, mein Sohn, würdest du bitte?" Einer der beiden Jüngeren, das musste Enoch sein, und der Name kam Genevieve bekannt vor, aus einem bestimmten Bericht, öffnete eine Tür zu einem Hinterzimmer und zog eine Person aus der Dunkelheit hervor. Genevieve war überrascht, nicht Khans muskulöse Statur zu sehen, sondern einen anderen verschwundenen Verwandten.
"Séamus?" fragte sie.
"Diese Stimme... bist du das, Genevieve?" fragte ihr jüngster Bruder hoffnungsvoll.
"Ja, ich bin's, Bruder. Und ich habe erkannt, was hier am Laufen ist." Plötzlich nahm Genevieve ihre Dämonengestalt an. Wasser barst aus dem Nichts hervor - oder besser gesagt, aus der Geisterwelt. Das Wasser floss durch die Luft und befreite Séamus aus Enochs Griff, und im selben Augenblick formte sich eine Schattengleve in Genevieves Händen und sie stürmte auf die Kidnapperin zu. Diese reagierte gelassen auf die plötzliche Attacke, sie tippte nur mit ihren Schuhen auf ein paar Punkte am Boden und ein Symbol leuchtete auf, das eine unsichtbare Wand produzierte, an der die Gleve abprallte.
"Ah, solch hitzköpfige Dämonen sind immer unterhaltsam, aber gegen jemanden wie mich solltest du dir das zweimal überlegen. Lass uns nochmal von vorn anfangen... Hallo, ich bin Aoife."
Dieser Name... und diese Macht. Das war doch nicht etwa
die Aoife, oder? Genevieve ließ ihre Gleve sinken, hier sollte sie lieber nichts überstürzen.
"Sie haben nicht wirklich Schuld, Schwester." sagte Séamus plötzlich.
"Sie haben mich gut behandelt. Aoife hat mich geheilt, nachdem Korina versucht hat, mich auf Iridae umzubringen."
Da waren keine Lügen in Séamus' Worten, das konnte Genevieve spüren. Oder benebelte ihr Misstrauen gegenüber dem Rabenteufel einfach ihr Urteilsvermögen? Nein, Aoife traute sie ebenfalls nicht. Man hatte Séamus nicht dazu gezwungen, das zu sagen.
"Jedenfalls hat unser Freund Séamus ein paar interessante Dinge gesagt. Zum Beispiel, dass du den Aufenthalt einer gewissen Person kennst. Sag uns einfach, was du weißt, als Dank, dass wir deinen Bruder gerettet haben."
"Und was ist mit Khan? Ich hatte gedacht, hier seine Entführer zu finden."
"Khan ist auch verschwunden? Was ist, wenn ihm das gleiche passiert ist wie mir? Korina könnte hier sein, sie hasst doch unsere Familie?"
"Sie ist tatsächlich in der Stadt... sie könnte also wirklich etwas damit zu tun haben... Nun gut, zuerst gebt ihr meinen Bruder Séamus frei, dann sag ich euch, was ihr wissen wollt." Der Zorn in Genevieves Stimme wuchs. Aoife nickte ihrem Sohn zu, und er schubste Séamus von sich weg. Der Schattendämon torkelte auf Genevieve zu. Aoife sagte derweil:
"Nun zum geschäftlichen. Du kennst den Aufenthaltsort eines gewissen Dämonengeists... um genauer zu sein, die Alte Traumfliegerin. Und ach ja, falls du solche exklusive Infos nicht preisgeben willst... nun, ich kann zwar die Sicherheit deines jüngeren Bruders garantieren, aber deinen nicht." Ein weiterer Schnipser, und Symbole aktivierten sich am Boden, Wänden und Decken, und ein Käfig aus Flammen wand sich um Genevieve. Mit einem weiteren Schnipser wurden die Symbole deaktiviert, aber die Drohung war klar gemacht worden.
Genevieve wusste dies tatsächlich. Als eine der ältesten lebenden Kinder ihres Vaters, einem Geschäftspartner der Traumfliegerin, hatte diese sich ihr in einigen Dingen anvertraut.
"Sie befindet sich zur Zeit in einem Geisterschlaf. Ich habe Anweisungen, sie zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erwecken. Ein Zeitpunkt, der in der nicht all zu fernen Zukunft liegt. Wecke ich sie vor dieser Zeit für euch, wird sie sich wenig kooperativ geben."
Aoife schien mit dieser Antwort zufrieden zu sein, sie lächelte nur, und die letzten Symbole hörten auf zu Leuchten.
"Nun gut, dann werde ich später auf dich zurückkommen. Lebt wohl... und viel Spaß beim Finden dieses anderen Entführers."
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