Irgendwann, nachdem Noire gegangen war, fiel Nina etwas ein, das in dem ganzen Trubel um den falschen Rabenteufel und Korinas Verletzung ziemlich untergegangen war.
"Ach ja, noch was, Rabe, Dashret und Kemet wollten dich wegen irgendetwas sprechen. Du sollst also in den einen Raum kommen, wo ihr gestern die Seele von Claire verhört habt."
Da die Wunde gesäubert und verbunden war und einige Stunden gehabt hatte, um sich zu beruhigen, konnte Korina auch schon ihr Bett verlassen... was gleich wieder dazu führte, dass der Schmerz stechend zurück kam. Sie ließ ihren schwachen rechten Arm auf dem gesunden Linken ruhen.
"Ich frag mich, was die *uff* von mir speziell wollen." Hatte es etwas mit dem besonderen Deal zu tun, den sie mit dem Vertreter der Kirche des Schwarzen Engels, die ja ein Geschäftspartner der Hand war, zu tun?
Als Korina und Nina aus der Krankenstation kamen, liefen sie auch schon Lauriam über den Weg. Nina informierte Korina darüber, dass auch Dashret und Kemet hier waren und den Agenten nach unten führten.
"Ich bleib dann mal hier oben. Kemet hat mir nämlich gesagt, ich darf nicht zuhören." Und falls sie nicht darauf hörte, würde sie es wohl mit Lauriams Dämonenfreundinnen zu tun bekommen, dachte sich Korina.
Unten angekommen musste Korina sich erst mal hinsetzen. Die schnelle Versorgung der Wunde und anschließende Bettruhe hatte die Verletzung weniger schlimm wirken lassen, als sie war, und der Weg die vielen Treppen hinunter hatte sie ein wenig ausgelaugt.
"Keine Sorge, bis es weitergeht, bin ich wieder fit." versicherte sie Lauriam.
Und sogleich erschienen auch schon die Dämonengeschwister in ihren Projektionsformen.
"Gut zu hören, dass du dich nicht von so etwas unterkriegen lässt, Korina Grausee." sagt Dashret spielerisch, man konnte nicht sagen, ob er es ernst meinte oder nicht.
"Lasst uns nicht um den heißen Brei herumreden, damit du dich wieder deiner Genesung widmen kannst." mahnte Kemet.
"Wir möchten etwas mit dir besprechen, Korina. Lauriam, dich haben wir ebenfalls eingeladen, da diese Angelegenheit wohl früher oder später auch die Schwingen im Ganzen betreffen wird und du als ihr Anführer am besten gleich aus erster Hand hörst, was wir zu sagen haben."
"Zuallererst möchten wir dir eine Frage stellen. Wenn du eine Perfekte Welt erschaffen könntest, wie sähe die aus?"
Nina hatte ihr schon erzählt, dass diese beiden Dämonen diese Frage gerne einmal stellten. So richtig Gedanken darüber hatte Korina sich noch nicht, aber ihr kam eine Idee. "Hm, eine perfekte Welt... wäre wohl eine, in der niemand glaubt, er sei besser als andere. Und deshalb niemandem gewaltsam seine Meinung aufzwingt." Jeder, der Korina kannte, konnte sich wohl denken, welchen Schurken sie damit meinte. Der dunkle Vater schien die Welt seinen Ideen nach in Sünder und NIchtsünder einteilen zu wollen, und zog damit unzählige Blutspuren durch die Welt.
"Eine Welt ohne solche Unterdrückung... diese Antwort gefällt mir." sinnierte Dashret.
"Nun denn, zum eigentlich Thema, weswegen wir dich hier her gerufen haben. Beginnen wir mit einer Geschichte." begann Kemet schließlich, sobald Dashret mit seiner Fragerei fertig war. Was sollte das sein, eine Geschichte?
"Vor langer Zeit, im ersten Jahrhundert, gab es sehr viele Dämonen auf der Welt. Nach der Niederlage des Dämonenkönigs hatten sich seine Untertanen in alle Winde zerstreut. In dieser vom Krieg zerrütteten Welt, in der die Gesellschaft noch einmal ganz von vorn anfangen musste, wollten natürlich so einige von ihnen ihre Stärke ausnutzen, um selbst zu Tyrannen zu werden, wie es ihr König einst getan hatte. Die Stärksten der Menschheit, die einst den Krieg beendet hatten, wurden alt und waren damit beschäftigt, die Länder wieder aufzubauen. So kam es dazu, dass eine neue Generation von Stärksten auf den Plan trat. Talentierte Krieger, unterstützt von jenen Dämonen, die sich im Krieg einst gegen den König gestellt hatten, bekämpften Monster und Dämonen und überwanden die ungezähmte Wildnis, die zwischen den neuen Nationen lag, um den Kontakt zwischen den Ländern zu sichern. Viele berühmte Helden stammen aus dieser turbulenten Zeit. Einer von ihnen ist der Hauptcharakter unserer Geschichte."
Korina fragte sich, worauf diese beiden heraus wollten. Als einziges fiel ihr ein, dass sich zu dieser Zeit auch die Wurzeln des Grausee-Kampfstils entwickelt hatten, aber die bekannte Familiengeschichte reichte nicht weit genug, um mehr darüber zu sagen.
"Dieser Held feierte unzählige Erfolge. Er wurde reich, und war von vielen beliebt. Einen Mann der Gerechtigkeit nannte man ihn. Doch natürlich stieg ihm der Ruhm zum Kopf."
"Diese Ära der Helden ging irgendwann auch zu Ende. Die Zahl der Dämonen sank, Königreiche breiteten sich aus und Staatsarmeen waren mehr und mehr in der Lage, die einfachen Leute zu beschützen. Und nicht nur wegen dieses Umbruchs lief der Held Gefahr, in Vergessenheit zu geraten. Seine Lust an Wohlstand und an schönen Frauen überschatteten zunehmend seine Heldentaten. Er wollte aber nicht, dass es so endete. Er war süchtig nach dem Ruhm, danach, zu demonstrieren, was richtig und was falsch war. Er sammelte mehr Macht. Er manipulierte die Kinder, die aus seinen zahlreichen Liebschaften entsprungen waren. Und in seiner Gier wurde er schließlich zu dem, was er einst zu bekämpfen geschwört hatte: Ein Dämon."
Jetzt fügte sich in Korina aber schon eine Antwort auf die Frage, was die beiden von ihr wollten, zusammen. "Meint ihr..." murmelte sie.
"Nachdem er sich auf dem öffentlichen Leben zurückgezogen hatte, flüsterte er noch verstärkt auf seine unehelichen Kinder ein. Und natürlich zeugte er auch noch weitere, er hatte eine besondere Vorliebe dafür, Frauen in schwierigen Umständen zu verführen, sodass deren Kinder kein leichtes Leben haben und eher seinen süßen Worten zu Opfer fallen würden. Auch meine Schwester und ich gehörten zu diesen Kindern. Wir sind Geschwister durch sein Blut."
"Er versprach uns viele Dinge, und Anfangs hörten wir auch auf ihn, obwohl es unsere Leben zerstörte. Doch wir waren glücklich, weil wir dachten, wir würden auf ein gutes Ziel hinarbeiten und aus den Flammen unserer alten Leben etwas neues auferstehen lassen. Doch mit der Zeit... da merkten wir, dass unserer Loyalität zum Teil auch aus Angst geboren war. Wir, und einige andere unserer Geschwister, begannen zu merken, wer Vater wirklich war. Ein Monster, das nach Macht und Kontrolle hungert, wie ein Dämon es nach Menschenfleisch tut. Alles, weil er mächtig gewesen war, und es ihn besonders gemacht hatte, dass er andere mächtige Wesen hatte gegenüber treten können. Wir, die die Wahrheit erkannt hatten, flohen gemeinsam. Wir haben uns in alle Winde zerstreut, damit selbst, wenn einer von uns gefangen und gefoltert wurde, der Rest in Sicherheit war. Doch dieses Monster, das einst ein Mensch war, hat über Jahrzehnte und Jahrhunderte nach uns gesucht, und selbst, wenn er lediglich die Nachfahren der Abtrünnigen fand, mussten diese anstelle ihrer Eltern und Großeltern leiden."
"Euer Vater..." sagte Korina, nachdem die Dämonen ihre Erzählung beendet hatten.
"Ist das der gleiche Vater, auf den Dante, Florence und Nina hören?"
"Du hast es erfasst. Dein Feind ist auch der unsere. Auch wenn wir uns schon lange anderen Dingen widmen als unsere Herkunft, so hat deine Situation unser Interesse geweckt. Du hast vor, Vater zu bekämpfen, wenn du ihm begegnest, statt einfach deine Belohnung für die Dienste, die er dir aufgezwungen hat, entgegen zu nehmen und diese Episode deines Lebens zu vergessen, habe ich recht?"
"So ist es. So wie er mit den Leben anderer spielt... Ich habe mich willentlich in Blut getränkt, um sein diabolisches Spiel zu überleben. Unzählige andere wurden zu ähnlichen Handlungen gezwungen, und tausende Unschuldige haben dadurch ihre Leben verloren. Ich kann nicht einfach davon gehen. Ich würde lieber durch seine Klinge sterben, als die selbstsüchtigen Verbrechen, die ich begangen habe, gestern sein zu lassen."
"Eine gute Einstellung. Dashret und ich könnten dem Konflikt zwar leicht aus dem Weg gehen, so als Dämonengeister ohne Nachkommen, die er an unserer statt bestrafen könnte, und haben das in den letzten zwei Jahrhunderten auch getan. Aber wenn du ihn bekämpfst, ist das eine Chance, ihn ein für alle Mal zu stoppen. Wir beide bieten dir unsere Hilfe im Kampf gegen ihn an."
Dashret war auch gleich zur Stelle, um eine Frage zu beantworten, die Lauriam jetzt wohl haben würde.
"Wir versprechen natürlich keine Ressourcen der Schwarzen Hand, nur unsere eigene Stärke. Dies ist unsere Angelegenheit, nicht die von Cassius. Allerdings ist mir auch bewusst, dass die Schwingen schon Noire bei der Rettung ihrer Familie unterstützt habe, weswegen ich es für sehr wahrscheinlich halte, dass diese Gruppe auch Korina bei ihrem eigenen Kampf zu Hilfe eilen wird."
"
He. Ich freu mich schon drauf. Wir haben einen Deal." Als Zeichen des Respekts streckte Korina ihren rechten Arm zum Händedruck aus, auch wenn es ihr weh tat. Die Dämonengeister, deren Projektionen nicht stofflich waren, konnten diesen zwar nicht wirklich annehmen, streckten ihre Arme aber auf ähnliche weiße aus, um die Geste zu erwidern.
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Zwei Tage später ging es Korinas Arm schon wieder deutlich besser, was der Stärkung durch die Rabenklaue zu verdanken war. Eine gute Sache hatte dieses vermaledeite Ding ja. Allerdings war sie noch lange nicht bei voller Kampfkraft, und der falsche Rabenteufel seitdem noch einige andere male in der Stadt gesichtet und mit einigen brutalen Toden in Verbindung gebracht worden, weswegen Korina in der Basis blieb, um eine weitere Konfrontation zu vermeiden.
Dafür traf sie eine ganz andere Konfrontation völlig unvorbereitet. Zum Frühstückstisch gesellte sich eine ganz besondere Person. Ihre Augen waren verbunden und - he, war das nicht die Frau, in deren Körper sie Claires Seele für den Verhör verfrachtet hatten? War das jetzt noch immer Claire, oder die ursprüngliche Besitzerin des Körpers?
Die Antwort auf die Frage lautete: Weder noch. Das mysteriöse Mädchen, das noch jünger zu sein schien als Korina, stellte sich als eine Siradda Hioda vor. Siradda? War das nicht der Name von einer von Lauriams Geistern? Korina kannte sie hauptsächlich daher, dass Nina ihr manchmal das Ohr abkaute mit Geistertratsch. Aber da Korina abgesehen von der Fledermausdämonin keinerlei Kontakt zur Geisterwelt hatte, war Siradda gewissermaßen eine Fremde für sie. Anscheinend hatte sie die Nase voll davon gehabt, als körperloser Geist herum zu sitzen, und sich einen freien Körper geschnappt.
"Hallo, Siradda." erwiderte Korina freundlich, schließlich sprach sie zu einer Teamkollegin.
"Ich bin Korina Grausee, aber das weißt du wohl schon." Sie reichte dem nicht so neuen Neuling die Hand. Korina war fast schon überrascht, dass sie das inzwischen einfach so tun konnte.
Nina war von dem Anblick noch verblüffter als Korina. Denn schließlich hatte Siradda ganz eindeutig nicht Besitz von diesem Körper ergriffen - die echte Siradda stand nämlich in der Geisterwelt neben dem Mädchen, dass sich gerade mit ihrem Namen vorstellte. Aber egal, was hier vor sich ging, eine Sache war klar.
"Oh, Siradda, du siehts ja niedlich aus!" rief die Fledermausdame und fiel der Geisterversion von Siradda um den Hals.
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@Tobi: