Es folgte eine lange, schmerzhafte Beschreibung all der Dinge, die Noire in letzter Zeit durchgemacht hatte. Das harsche Treffen mit dem Orden, die der Kampf an der Kathedrale mit Braigs Verrat, und die ganze Situation, dieser scheinbar endlose Fluss des Verbrechens, den sie heruntersegelte, um ihren Vater zu retten. Schon das Böse daheim in Iridae hatte schwer auf ihr gelastet, und jetzt lud ihre Wahl in Methoden, den Kampf dagegen aufzunehmen, noch mehr Steine auf ihr Joch. Der Auftrag für die Schwarze Hand hätte ein einmaliger Deal sein sollen, sich einmal die Hände schmutzig machen, um dann gegen Melsen und Lyon vorgehen zu können. Aber stattdessen hatte es alles schlimmer gemacht. Das Tüpfelchen auf den "I"-s im überschrittenen Limit war ein ausgerufener Wunsch, den Indignito zu töten.
"Ich weiß nicht genau, was in der Trainingshalle vorgefallen ist. Aber etwas zu sagen, das ist anders, als es wirklich zu tun. Leute wie diese Indignitos würden nicht zögern zu handeln, wenn sie darin einen Vorteil für sich sehen. Ich finde, es ist okay, so jemanden zu hassen." Korina quasselte irgendwas hervor, das ihr eben in den Sinn kam. Sie wusste nicht, ob Noire diese Worte wirklich helfen würden, aber einfach still sitzen und ihr nichts sagen zu können, fühlte sich auch falsch an.
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Nina begann zu zittern, während sie Siraddas Erzählung lauschte. Eine furchtbare Geschichte. Mord und Totschlag, auf Vaters Geheiß, um die Flüchtenden zurückzubringen? Lächerlich! Es war wirklich unverblümt, ihr so eine Lüge aufzutischen! Aber Siradda und Kemet waren doch schlau, oder? Sie wussten, dass eine solche Lüge viel zu leicht zu durchschauen war. So etwas konnte man einem nur auftischen, wenn es in Wahrheit keine Lüge war... aber wirklich, warum sollte Vater lügen? Er war doch immer transparent, wenn er schlechte Dinge tat, um das größere Wohl zu erreichen.
Aber sie hatte auch Zenobia so gut gekannt. Dieser Mord an Nico, die Version der Ereignisse, an die sie selbst glaubte, die passten einfach nicht zu Zenobia. Aber wenn Nico wirklich dafür mit verantwortlich war... Arrg, jede Option klang schrecklich.
"Ich... will dir ja glauben, Siradda. Weil ich gerne glauben möchte, dass wir Freunde sind... Aber es ist halt so, es wäre so gut für euch, die Gruppe mein ich, wenn ich an eure Version der Geschichte glauben würde. Ihr glaubt doch sicher auch an ein größeres Wohl... das der Sicherheit der Schwingen..." Sie sah zu Boden.
"Lass mich dir etwas sagen, Nina." meinte Kemet jetzt.
"Du und ich, wir wissen beide, was für starke Kämpfer ein jeder in unserer Familie ist. Besonders Vater. Zu versuchen, sich gewaltsam zu befreien, trägt ein unheimliches Risiko. Und egal, welcher Seite du glauben schenkst, das Resultat der Schlacht ist das gleiche: Auf beiden Seiten ist viel Blut vergossen worden, und dieses Resultat war vorhersehbar. Hätten wir Rebellen wirklich so viele von unseren loyaleren Geschwistern wir möglich töten wollen, hätten wir nicht den offenen Kampf gesucht. Du erinnerst dich doch an die Lektionen unseres Bruders Camus, oder? 'Wer in den offenen Kampf reitet, tut das nicht, weil er auf der Suche nach Sieg ist'"
Von Nina kam keine Antwort. Sie hielt sich halbherzig die menschlichen Ohren zu, aber durch die Fledermausohren auf ihrem Kopf kam noch immer Schall hinein.
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Bald nach dem verspäteten Mittagessen gingen die Monsterjäger getrennte Wege. Ranjid, der Arzneiexperte der Gruppe, begab sich mit Ludo zur Universitätsapotheke, um das Betäubunsmittel zu holen und dann die Methoden, es dem zu fangenden Hauerbären zu verabreichen. Ein bisschen was auf Pfeile zu geben war bei weitem nicht genug bei einem Tier dieser Größe. Cecile verließ die Stadt derweil in Richtung Südwesten, wo die Bärenhöhle lag. Wichtig war, festzustellen, wie man das Terrain nutzen konnte, um die Monster voneinander zu trennen und in Fallen zu locken. Mit ihren Katzensinnen sollte es ihr sogar gelingen, in die Höhle selbst zu schleichen und die Monster aus der Nähe zu studieren.
Muirach hatte ebenfalls eine Aufgabe: Das Labor, das den Hauerbären untersuchen wollte, würde ein Team bereit stellen, um das Exemplar nach der Betäubung in Ketten zu legen und abzutransportieren, und sie wollte lieber im voraus sicher stellen, dass diese Leute auch wussten, was sie tun. Wenige Dinge wären schlimmer, als wenn das verdammte Ding sich beim Transport befreite und durch die Hauptstraße wütete.
Doch es war noch eine Weile, bis es dunkel wurde, sie hatte also Zeit, es langsam anzugehen und einen Spaziergang in der Nachmittagssonne zu genießen. Trotz der kürzlichen Nachrichten von Dämonenangriffen ließen sich die Bewohner und Besucher der Stadt nicht den schönen Sonntagnachmittag nehmen. In der materiellen Welt waren die Straßen bereits lebhaft genug, aber jemand wie Muirach sah auch, dass die Geisterbevölkerung von Academia durch die Straßen und über Dächer schlenderte. Mu ignorierte Geister für üblich, und die meisten Geister kümmerten sich auch nicht darum, was auf der anderen Seite vor sich ging oder ob jemand von dort sehen oder hören konnte, was sie taten. Aber da gab es eine Sache, die ihre Aufmerksamkeit erregte.
"Hm, den Schirm kenne ich doch." Da waren zwei menschliche Geisterdamen, eine von ihnen stach durch ihr Angeborenenmerkmal heraus, die andere durch ihre fremdländische Kleidung und durch einen hübschen Schirm, der bei Mu Erinnerungen wirkte. Erinnerungen an eine strenge Lehrmeisterin, die ihre Schüler bei Starkregen nach draußen gezwungen und dazu herausgefordert hatte, ihr den einzigen Schirm weit und breit mithilfe von Holzschwertern abzunehmen. Mu würde sich gerne an die Version der Geschichte erinnert, in der sie als einzige leidlich trocken geblieben war, aber Tatsache ist, dass die Lehrmeisterin Amanda Grausee auch nach 30 Minuten noch mit einem schelmischen Grinsen und keinem Tropen Wasser auf ihrem Haar vor ihnen gestanden war und befohlen hatten, sie sollen reingehen und sich aufwärmen.
Jedenfalls schien der Geist mit dem Schirm gerade zu merken, das man das, was sie eben gesagt hatte, auch sehr falsch aufnehmen konnte. Mu erkannte den Namen der Person, von der sie redeten, nicht, da Amen sich vorhin nicht bei ihr vorgestellt hatte. Aber sie wollte wissen, was es mit dem Accessoire auf sich hatte oder ob das nur ein ganz großer Zufall war, also sagte sie zu den Geistern, als diese peinlich berührt an ihr vorbei liefen:
"Na sowas. Man braucht nicht mal einen Körper, um in so etwas wie ein Fettnäpchen zu treten, Mädchen."
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