Annìng sah zu Boden und musste Altaris Worte erst einmal verdauen. Seine Frau? Dann musste sie wohl auch eine Dämonin gewesen sein. So genau und akkurat waren die Erinnerungsbilder aus den Köpfen leider nie, um alles im nachhinein feststellen zu können. Annìng musste sich beherrschen, um den Dämonen vor ihr nicht einfach mit weiteren Fragen, die für ihn nur wilde Sinneseindrücke, Gefühle und Bilder sein würden, zu bestürmen, sondern ihm ihre Gedanken Häppchenweise und in geordneter Form darzubieten.
Seine Erklärung mit 'der Depression' schien zwar nachvollziehbar, aber etwas einfach zu sein. Schließlich könnte man damit die größten Missetaten, und genau das tat er ja, entschuldigen! Auch wenn es einem schlecht ging konnte man sich nicht zwanzig Jahre lang gehen lassen. Das war ihrer Meinung nach einfach zu viel.
Zuerst einmal musste sie sich darüber klar werden, welche Fragen ihr wichtig waren: Hatte er ein schlechtes Gewissen? Wenn ja, wieso hatte er in all den Jahren nicht versucht, dagegen etwas zu unternehmen, wenn er im Nachhinein so klar und deutlich sieht, dass seine Frau 'unschöne' Dinge getan hatte? Wie äußerte sich die Depression und wieso hat er sich keine Hilfe geholt? Hatte er seine Frau geliebt? Ansonsten hätte er ihr doch auch helfen wollen... (hierbei ging Anning von dem Grundgedanken aus, das keine Person von Grund auf böse war, sonders dass irgendwer oder was sie dazu gemacht hatte.) Niemand verliert 20 Jahre lang den Verstand. Hat es ihm Spaß gemacht, Menschen zu töten? Wie ergeht es ihm jetzt? Genießt er es immer noch, Macht über andere zu haben?
Ihr fielen noch tausend weitere Fragen ein, zum Beispiel, wie sein Verhältnis zu ihrer Mutter war, aber diese unterdrücke sie vorerst. Es würde vielleicht noch genug Gelegenheiten geben, ihm die Antworten dazu zu unterlocken. Ganz im Gegenteil zu Altaris war sie sich ihrer eigenen Fähigkeiten nicht im vollen Umfang bewusst. Sie wusste zwar, dass die Menschen zu vorschnellen emotionalen Ausbrüchen auf ihre Art zu kommunizieren neigte, aber dass sie dadurch auch gekonnt provozieren und quasi als Lügendetektor durch die Welt marschieren könnte, war ihr nicht klar.
Anfangen würde sie erst einmal mit einer einzigen Frage, sie wollte ihn nicht verwirren, sondern Antworten bekommen. Wenn sie ihren Vater fragte, bekam sie die zwar auch, aber die Antworten direkt von der Person, die die Lage der Welt zu verantworten hatte zu bekommen, war um einiges reizvoller. Sie hoffte nur, dass hier niemand vorbeikommen würde und sie unterbrach. Fremde Gedankengänge konnte sie hier gerade wirklich nicht gebrauchen.
Sie sah wieder auf (all ihre Gedankenordnungsprozesse hatten gerade mal ein paar Sekunden angedauert) und sah Altaris in seine stechenden Augen. Ihr Gesichtsausdruck war dabei entschlossen und ernst. Sie stellte ihm eine Frage, die folgend bei ihrem Gegenüber ankam:
Zuerst verspührte er ein Gefühl von Wärme, die ihn umgab, und ein leichtes, angenehmes Prickeln. Dann sah er Mara, wie sie lachte und sich zu ihm drehte, vor sich. Kurz darauf ihre geschändete Leiche. Dann ein Ziehen in der Brust, so als wüsste man gerne die Antwort zu einer Frage, die einem auf der Seele lastet.
Die zweite Frage folgte nur wenige Sekunden danach. Anscheinend war Annìng doch neugieriger, als sie zugab.
Mara in ihrer Villa stehend, Altaris' Leibsklavin quälend. Altaris trat hinzu und tat ihr weh (hier verblasste das Bild etwas, so als würde Anníng ihm nicht die ganzen emotionalen Ausmaße zeigen, die sie hierbei selbst verspürte. Quasi.. eine Zensur.). Kurz darauf hörte man ein leidiges Schreien und das abrupte Abbrechen. Die gefesselte Frau mit nur einem Auge war tot. Mara grinste boshaft. Altaris machte es ihr gleich*. Die Szene brach ab und das ziehende, fragende Gefühl trat wieder auf.
Dann sah Altaris wieder Annìngs herausfordernden, interessiert- aber skeptisch dreinwirkenden Blick.
*In den Erinnerungen, die Annìng ihrem leiblichen Vater zeigte, sah man Altaris natürlich nicht - schließlich waren es seine Erinnerungen, und es wäre seltsam die als Außenstehender 'von Außen' sehen zu können. Stattdessen steckte der Betrachter quasi in seinem Körper - wenn er Emotionen zeigte, äußerte sich dies auch wie im echten Leben, man spürte also, wie er lächelte, u.Ä..