Nina bauschte ihre Flügel auf, um das Gebiet aus der Luft abhören zu können, da bekundete Lilith ihr Interesse am tierischen Teil von Ninas Gestalt. "Eigentlich überhaupt nicht, nein. Fliegen ist eigentlich ganz leicht. Ich weiß nicht genau, wie's funktioniert, aber magische Wesen mit Flügeln können sich ganz leicht machen, und dann brauchts nicht viel Flügelkraft, um loszufliegen." Sie aktivierte das Schweben als demonstration, und ihre Füße lösten sich vom Boden. "Nicht so wie bei einer echten, gewöhnlichen Fledermaus. Und als Geist ist's sogar noch leichter." Sie ließ sich wieder zu Boden sinken und wandte Lilith den Rücken zu. "Na los, kletter rauf, damit wir auf die Dächer können."
Nach zehn Minuten des Wartens war es so weit: Vada begann, die Asche zu dirigieren, und formte eine graue Wolke, die aussah wie ein riesiges Wesen. Das Schauspiel konnte beginnen. Korina zog ihr Schwert. In wahrer Gefahr war sie im Moment nicht, aber sie konzentrierte sich darauf, wie sie sich fühlte, wenn sie einem echten Feind entgegen trat. Eine Spur Angst, die ihr Überlebenswille in Mut umwandelte. Der Wille, Gewalt einzusetzen, um sich zu schützen. Die leichte Spannung in ihren Muskeln für schnelle, präzise Bewegungen ohne sich zu verkrampfen. Das Schauspiel musste doch überzeugend wirken.
Von ihrer Position auf den Dächern aus hörte Nina etwas. Die Geräusche knirschender Dachziegel, als das Gewicht eines Menschen darauf landete und sich wieder abstieß. Das Flattern loser Kleidung, einer Kapuze vielleicht, im sanften Wind. Mit ihrem Gehör konnte die Fledermausdämonin selbst in der dunkelsten Nacht leicht herausfinden, wo jemand war und wie dieser jemand sich bewegte. Auch die mysteriöse Gestalt konnte sich ihren Sinnen nicht enziehen. War das der Wächter, oder einer von Keideins Schergen? Jedenfalls näherte sich die maskierte Person vorsichtig, als wolle er oder sie erst abwarten und die Situation abschätzen.
"Korina! Jemand kommt aus dem Westen, über die Dächer! Aber er greift noch nicht an!" rief Nina.
Die Schwertkämpferin wandte ihren Kopf in diese Richtung. "Jemand hat den Köder geschluckt." informierte sie Vada. "Er zögert aber noch, holen wir die Leine ein."
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Während die Schwingen sich in Position brachten und auf das erscheinen zahlreicher ungebetenen Gäste reagierten, begann am Südtor der Stadt eine andere nächtliche Aktion. Es war kurz vor der Zeit, zu der die Stadttore für die Nacht geschlossen wurden, und endlich kam die Person an, auf die Cecile dort gewartet hatte.
"Tut mir leid, dass es so spät geworden ist, Cecile. Die Vorbereitungen haben wohl etwas länger gedauert, als erwartet." sagte die Zauberin mit den kurzen roten Haaren und reichte ihrer Kollegin einen kleinen Koffer.
"Zu früh kann ich sowieso nicht los. Und mir ist auch lieber, wenn du deine Arbeit gründlich machst, Mine." Sie öffnete den Koffer. Darin befand sich eine flache hölzerne Schatulle, eine Kerze, ein einfaches Feuerzeug und eine Brosche aus mattem grauen Metall mit einem langen dünnen Lederband, und dann noch eine kleine Dose aus Metall. "Also, wie genau benutzt man das, oh große Zauberin? Wie du dir vorstellen kannst, hab ich mit dem Zauberzeug nicht viel zu tun." Sie zuckte mit den Ohren,
"Keine Sorge, ich habe die Platte so eingerichtet, dass auch eine Angeborene damit umgehen kann. Wenn du deinen Enterhaken nutzen kannst, dann auch das." Wilhelmine öffnete die Schatulle, was enthüllte, dass es sich dabei nicht um einen Hohlen behälter handelte, sondern um eine hölzerne Runenplatte mit einem Deckel, der die Symbole beim Transport vor Beschädigungen schützte. Sie deutete auf einige Symbole, die nicht direkt ins Holz geschnitzt waren, sondern aus dünnen Metallplättchen geschnitten waren, die man dann am Holz festgeschraubt hatte. "Zuerst zündest du die Kerze an. Dann aktivierst du diese drei Symbole mit der Hitze, und gießt das Wachs in diese kleinen Kanäle hier. Lass die Platte liegen, bis das Wachs erkaltet ist, dann klapp sie zu." Dann hob sie die Brosche und die Dose hoch. Näher betrachtet konnte man feststellen, dass auch die Brosche mit magischen Symbolen bestückt war, und in der Mitte befand sich eine kleine Aussparung. "Und dieses Amulett schützt dich vor der starken Magie in der Höhle, damit du sie unbeschadet durchsuchen kannst. In der Dose ist ein geladener Stein, leg ihn in das Amulett, um es zu aktivieren. Aber es hält nur um die fünfzehn Minuten, mach also, dass du schnell wieder rauskommt, sobald der Stein aufhört zu leuchten." Das Magiefeld in der Höhle war nach neuesten Messungen nicht annähernd stark genug, damit man so etwas wie einen Schutzanzug brauchte, es hatte sich wohl abgeschwächt seit der Zeit, in der die Hauerbären eingezogen und verseucht worden waren. Aber ganz ungeschützt reinzugehen, war trotzdem schädlich, aber eher in der Art, in der ein schwerer Sonnenbrand schädlich war. Und ein schwerer Sonnenbrand konnte nun mal ernst zu nehmende gesundheitliche Folgen haben, ohne in irgendeiner Weise verseuchend zu wirken.
"Hast ja an alles gedacht. Ist ja nicht so, als würde ich deiner Arbeit vertrauen. Danke für die Erklärung." Cecile lächelte.
"Eins noch. Ich hab zwar auch eine Lizenz für dich, um auch bei Nacht in die Stadt gelassen zu werden. Aber wenn du irgendetwas... in der Hölle findest und mitnimmst, würden die Wachen dich durchsuchen, und es wäre besser, wenn "es" ungesehen bleibt. Du müsstest also vielleicht über die Mauer reinklettern. Geht das in Ordnung?"
"Kennst du mich oder kennst du mich? Die Große Cecile lässt sich doch nicht von einer klitzekleinen Stadtmauer aufhalten, wenn's darum geht, etwas in einen Ort hineinzuschmuggeln." Und mit diesen Worten wandte die Katzenwandlerin sich ab und begab sich zur Höhle, um ihre nächtliche Erkundung zu starten.