Für die Vorlesestunde verlangte Shinra eine Gegenleistung, was nur fair und von einem Geisterwesen zu erwarten war.
"Sicher. Musst dich aber hinten anstellen, ich hab noch einige offene Rechnungen." antwortete Korina grinsend.
"Aber ernsthaft, danke für die Hilfe, Shinra. Übrigens, du brauchst ja noch den Namen der Dämonin, die wir hier befreien. Sie heißt Nina Tepperich." Amen vertraute dieser Fee ja, also hatte Korina bestimmt nicht zu befürchten, bei diesem Handel über den Tisch gezogen zu werden. Jetzt konnte das Ritual wirklich los gehen. Die anderen setzten sich zu Korina um das Brett herum. Die ersten Anweisungen des Rituals wies darauf hin, dass die in blauer Tinte geschriebenen magischen Worte sowohl in der geschriebenen Sprache - altes mahrisch, die Sprache, die heutzutage nur noch als Sprache der Magier benutzt wurde - als auch in einer Sprache, die alle Teilnehmer des Rituals verstehen konnten. Folglich begann die Fee, die in blauer Tinte geschriebenen Zauberformeln vorzulesen. Nach und nach begannen die Schriftzeichen, die einen Kreis um das Dreieck bildeten, in einem blassen blauen Licht aufzuleuchten, im Kontrast zu dem roten Licht, dass den Rest der bestrahlte. Nachdem die in blauer Tinte geschriebenen Zauberworte gesprochen waren, ging es in schwarzer Tinte mit einigen Anweisungen weiter, für die man die alt-mahrische Aussprache auslassen und nur telvanisch sprechen konnte.
Einst wurde ein Dämon eingeschlossen, in jene Waffen, um sie zu stärken, für den Kampf gegen diese Art
Der Name des Gefangenen, lange fiel er nicht, Nina Tepperich, ich rufe dich
Es ist Zeit zum Erwachen, zur Befreiung, aus dem Frondienst, aus dem langen tiefen Schlaf
Träger der Waffe, platziere das Gefängnis im Kreuz im Zentrum, es muss gerade stehen
Korina zog die Rabenklaue hervor, hielt sie über das Brett, und bohrte die Spitze in das Holz. Obwohl es nicht sehr breit war und das Schwert folglich nicht sehr tief hatte vordringen können, stand es stabil
Für ein sanftes Erwachen, bieten wir eine Gabe, drei Tropfen Leben, für dein neues Leben
Gespendet von dreien, die noch rein sind, die kein Leben erschufen
Trinke, Gefangener mit dem Namen Nina Tepperich, und erwache
Erster Spender, schneide dich an der Waffe, male die erste Seite des Dreiecks
Damit waren wohl die Jungfrauen gemeint. Mit dem Worten über den ersten Spender leuchteten die Buchstaben an einer Seite des Dreiecks auf. Korina legte einen Finger an die Klinge ihres Schwertes, und fuhr mit ganz leichtem Druck hinauf. Der Schnitt tat weh, aber sie ließ sich nichts anmerken. Was sie sich allerdings anmerken ließ, war die Frustration, als sie merkte, dass sie sich gerade mit einer Waffe, bei der Wunden ewig lang zum heilen brauchten, in den Finger geschnitten hatte. Das würde nervig werden, das kleine Stechen, jedes mal wenn sie diesen Finger benutzte! Aber egal jetzt. Mit ihrem Blut malte Korina die erste Seite des Dreiecks aus.
Zweiter Spender, schneide dich an der Waffe, male die zweite Seite des Dreiecks
Dritter Spender, schneide dich an der Waffe, male die zweite Seite des Dreiecks
Mit jeder Zeile leuchteten die korrespondierenden Runen, und Amen und Noire schnitten sich am Schwert und trugen ihr Blut auf dem Brett aus.
Nina Tepperich, das Geschenk ist gegeben
Drei Tropfen Leben, sauge sie ein, Gefangener, erquicke dich an baldiger Freiheit
Von den Ecken des Dreiecks floss das Blut jetzt zum Zentrum hin, wo die drei Linien das Schwert umkreisten und auch etwas nach oben reichten, um sich mit den Blutspuren zu verbinden, die Korina, Amen und Noire beim sich aufschneiden hinterlassen hatten.
Der Dämon, Nina Tepperich, regt sich nun, sein langer Schlaf endet
Lange Träume lösen sich, aber lassen nicht ganz los, nach langer Zeit
Lass sie fließen, Nina Tepperich, vertraue deine Träume dem Träger an
Träger der Waffe, ergreife das Gefängnis und nimm die Träume entgegen.
Korina zögerte nicht lange, und schloss beide Hände um das Heft der Rabenklaue. Dunkelheit und Lärm brachen über sie herein.
"Mein Leben... nicht lang genug... zu strafen... Meine Tochter...hilfst... Rückkehr..." Jemand sprach zu ihr. Sie sah sich um. Keiner ihrer Freunde war da. Eine große, dunkle Gestalt stand vor ihr und deutete auf sie. Um sie herum waren mehrere andere Gestalten, eine kam ihr bekannt vor: Ein kleiner Junge mit schwarzen Haaren und blauen Augen.
Feuer. Es fühlte sich an, als sei ihr Herz in Flammen aufgegangen. Sie rannte durch einen langen Korridor.
"Es ist soweit! Es ist soweit!" hörte sie ihre eigene Stimme rufen. Aber es war nicht ihre Stimme. Sie erreichte einen Spiegel und sah sich selbst. Ein Mädchen in ihrem Alter, mit blondem Haar und bernsteingelben Augen, das Gesicht umringt von Schwärze. Und sie löste sich auf, in einer Welle aus Hitze. Die Hitze raubte ihr das Bewusstsein, und als sie wieder zu sich kam, hatte sie keinen Körper mehr.
Hämmer. Ein Schmied schuf ein pechschwarzes Schwert. Er tauchte es in kühles Öl, polierte die Klinge, und unter magischen Worten wurde Blut gegeben, und Korina merkte, dass sie in dem Schwert war, bevor ihr wieder Schwarz vor Augen wurde. Zwei mal kam sie wieder zu Bewusstsein, doch beide male blieb sie blind. Große Hitze, die mit ihr in dem dunklen Gefängnis steckte, verschwand jedes Mal. Dann endete der Traum.
Korina schlug die Augen auf. Und schon wieder blickte sie in das Gesicht, dass sie im Traum gesehen hatte.
"Heyheyhey, Schlafrabe, endlich bist du wach!" rief die Gestalt, die über ihr stand.
"Dachte schon, ich könnt mich nie bei dir bedanken. Ich bin wach, ich bin wach, und zwar richtig diesmal, weißt du was das heißt? Meine Arbeit ist bald vollendet! Ist das nicht schön?"
Korina sammelte sich langsam und sah sich um.
"Sehr... schön..." Alle waren über sie gebäugt und sahen sie an. War sie umgekippt? Sie lag in Noires Armen, wahrscheinlich hatte ihre Schwester sie noch rechtzeitig auffangen können.
"Danke, Noire." murmelte Korina mit einem müden Lächeln und setzte sich auf.
"Ah, schön, dir gehts gut, da kann ich mich ja jetzt auch bei meinen anderen Befreiern bedanken!" Sagte die Dämonin, Nina. Sie streckte ihre Arme aus, und Korina sah jetzt, dass Nina sehr lange Arme mit ledrigen schwarzen Fledermausflügeln hatte. Ihre Ohren waren auch die einer Fledermauß, ihr Oberkörper war bedeckt mit einer Mischung aus Pelz und Chitinschuppen, und aus ihrem Rücken spross ein Paar Mosktioflügel. Mit ihren Riesenarmen ergriff die Dämonin Noire und Amen an den Schultern und zog sie in eine feste Umarmung.
"Ihr habt echt gutes Blut, und ich bin ein bisschen was von einer Expertin, also das will was heißen! Sind wir hier in einer Domäne, denn ich glaub, wenn ich euch Nicht-Tote Fleischbeutel anfassen kann, dann müssen wir in einer Domäne sein, und oh, du bist die, die die Formeln aufgesagt hat, was?" Nina blickte jetzt Shinra an.
"Danke danke dafür!"
Nina ließ jetzt Noire und Amen los, die wohl schon Schwierigkeiten beim Atmen gekommen hatten, und wandte sich wieder Korina zu.
"So, Rabe, du hasts tatsächlich geschafft. Ich war immer in nem Dämmerzustand, aber ich hab mitgekriegt, dass du gut geerntet hast. Die harte Arbeit zahlt sich bald aus, ich sags dir! Ich bin Nina, und du bist?"
"Korina. Und ich hab kein Interesse daran, für diese Arbeit "bezahlt" zu werden. Dein Vater, der das alles veranstaltet hat, ist voller Scheiß. Merks dir."
"Oh, oh, Vater! Ja, genau, dem werden wir helfen. So gut kenn ich ihn eigentlich auch nicht. Aber ich hab trotzdem hart gearbeitet, so gehört sich's doch. Als Belohnung darf ich bald frei sein!"
Korina stöhnte. Das letzte, was sie jetzt in ihrem Leben brauchte, war ein zweiter Dämon, der ständig darüber herzog, wie toll doch ihr Vater war.
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