Langer Post mit Mord.
Ich bin zurück.
____________________________________
Sie war wieder zurück unter der Erde. Ein Umstand, der Akira sowohl gefiel als auch beunruhigte. Sie hatte die Oberwelt nun gesehen, das war immer ihr Traum gewesen. Doch obwohl sie in Dulluas aufgewachsen und die Stadt ihre Heimat war, in der sie sich auskannte, vermisste sie doch all das Licht und die Farben. Die Unterwelt kam ihr trister den je vor und sie fragte sich, wie sie es all die Jahre hier ausgehalten hatte. In ihrem inneren spürte sie ein schreckliches Verlangen, wieder unter Sonne und Mond zu stehen. Sie erinnerte sich an etwas, was Malhir ihr mal erzählt hatte. Sie hatte ihm nie Bedeutung beigemessen, doch nun tat sie es doch. Er hatte ihr damals erklärt, dass Draconen an einer Art Lichtabhängigkeit litten. Wenn Draconen eine Mondphase ohne die natürlichen Lichter der Oberwelt auskommen mussten, bekamen sie schweres Fieber und erlagen diesem binnen Kurzem. Er hatte ihr auch erzählt, dass Akira der lebendige Beweis war, dass Draconen, die das Sonnenlicht nie gesehen hatten, nicht davon abhängig waren, außerdem bewies das, dass Akira schon unter der Erde geboren war, auch wenn sie sich nicht an ihre Herkunft erinnern konnte. Obwohl sie damals Malhirs Weisheit bewundert hatte, hatte sie seinen Ausführungen kaum Beachtung geschenkt. Nun erinnerte sie sich jedoch wieder an alles, alles erschien in einem ganz anderen Licht. Würde sie sterben, wenn sie zu lange hier unten bliebe, oder hatte ihre Jugend sie gegen die Krankheit imunisiert? Wenn sie verlieren würden, könnte sie dann die Oberfläche überhaupt verlassen?
Malhir hatte ihr auch erzählt, dass die Draconen deswegen nach dem großen Krieg nicht mit den anderen Völkern unter die Erde gegangen waren. Ihre Macht, die sich aus Sonne und Mond speiste, wurde der Grund ihres Untergangs.
Doch wenn es wirklich so war, wie hatte Malhir dann all die Jahre unter der Erde gelebt? Oder...
Es ergab keinen Sinn, wieder einmal wurde ihr klar, wie wenig sie über ihren Meister und dessen Bedeutung wusste.
Mit diesem beunruhigenden Gedanken verließ sie, ohne wirklich darüber nachzudenken, die Oberschicht, und machte sich auf den Weg zu dem Haus an der Grenze zwischen Mittel und Unterschicht, dem Haus des Mannes, der sie aufgenommen und ihr einen Wohnort gegeben hatte, Meister Kennan.
Auch wenn sie ihm wohl einiges verdankte, war ihre Beziehung zu ihm nicht besonders ausgeprägt. Der alte Magiermeister hatte kaum Zeit gehabt und wenn doch, hatte er sie mit seinen Lehrlingen verbracht, zu denen auch Akira gehörte. Er betrieb eine Magieschule, die zwar nicht übermäßig gut, aber dennoch anerkannt war in der Mittelschicht der Stadt, da Kennan ordentliche Magier hervorbrachte, ohne solche Geldmengen zu verlangen, wie einige seiner Rivalen.
Doch nun, wo sie schonmal hier war, wollte sie doch in der alten Schule vorbeischauen.
Recht gut gelaunt, auch wenn ihr das Dämmerlich der Kristalle, die die Unterstadt beleuchteten zusetzte, bog sie in die ruhige Gasse ein in der das alte Haus gestanden hatte. Hier war nie viel los und auch wenn sie sich offiziell in der Mittelschicht befanden, musste man hier auf vorsichtig sein. Akira erinnerte sich an ihre Zeit als kleines Mädchen, sie hatte einige unangenehme Dinge erlebt und all das hatte sie in ihren Überzeugungen gestärkt. Die ewige Dämmerung verdüsterte die Herzen all derer, die hier unten festsaßen. Hier gab es nur wenig Platz für Wärme und Herzlichkeit.
Gespannt nahm sie den Messingring, der als Türklopfer diente, und wollte damit gegen die grüne Holztür schlagen, als sie feststellte, dass diese bereits angelehnt war. Das erstaunte Akira, denn Kennan war mehr als ordentlich und eine offene Tür war in seinem Haus undenkbar. Besorgt schob sie die Tür auf und trat in das halbdunkle Haus. Nichts regte sich, alles war still und Akira spürte einen Angstschauer, der ihr über den Rücken lief. Hier stimmte etwas nicht, das spürte sie in ihren Haarspitzen. In Fingern und Rücken kribbelte es unangenehm, als ihre Instinkte ihre Magie zwingen wollten, etwas gegen den Feind zu unternehmen, doch da war kein Feind, nur diese Stille.
Dann schüttelte Akira über sich selbst den Kopf. Das hier sagte noch gar nichts, Kennan konnte das Haus verlassen haben, vielleicht waren Einbrecher hier, oder er hatte einfach nur vergessen, die Tür zuzumachen, obwohl...
"Meister, ich bin zurück!", rief ihr vorlauter Mund, bevor sie ihn davon abhalten konnte. Das kurze Echo ihres Rufes war die einzige Antwort, die sie bekam. Mit einem weiteren Schaudern stieg sie langsam die Treppe rechts von der Tür hinauf. Hier ging es zu den Räumen des Meisters, in denen auch sie gelebt hatte. Oben angekommen stieg ihr direkt der faulige Gestank in die Nase, als würde hier etwas verwesen... Das war genug. Ohne weiter darüber nachzudenken stürmte Akira durch den Flur und stieß die Tür zum Zimmer ihres Meisters auf. Kennan lag in seinem Bett, als schliefe er, doch es war mitten am Tag und er bewegte sich nicht. Akira rannte zu ihm und griff ihn an die Schulter um ihn herumzudrehen. Wie von selbst drehte sich der Mann und offenbarte einen schrecklichen Anblick. Sein Nachthemd war vorne brutal zerrissen und darunter sah man Fleischfetzen, zwischen denen zerbrochene Rippen weiß hervorblitzten. Es sah aus, als hätte jemand den Brustkorb brutal aufgebrochen und darin herumgewühlt. Doch wie durch ein Wunder war kein Blut an den weißen Leinen des Bettes, es war fast, als hätte jemand Kennan dort zurechtgelegt, damit es aussah, als würde er schlafen. Akira schrie panisch auf? Wollte wegschauen, doch konnte ihren Blick nicht von ihrem grausam entstellten Meister wenden. Ein grauenvoller Geruch stieg von dem bereits fauligen Fleisch auf und ließ Akira würgen, gleichzeitig trieb er ihr die Tränen in die Augen und obwohl sie sich dafür innerlich hasste, erbach sie sich neben das Bett. Kennans Augen waren panisch aufgerissen und in dieser Pose erstarrt, in seinem Mund steckte ein Tuch. Man hatte ihn offensichtlich ihm Schlaf überrascht und geknebelt, damit er still war. Welches Grauen hatten diese Augen wohl gesehen, bevor er so zerfetzt worden war, welche Schmerzen?
Mit einem Schluchzer fiel Akira in sich zusammen, richtete sich jedoch direkt wieder auf. Hatte sie nicht gerade ein Geräusch gehört?
Sie drehte sich zur Tür um, dort stand jemand. Sie konnte nur einen großen dunklen Umriss sehen, der in den finsteren Flur trat. Akira schrie wieder, laut, panisch, schrill. Es war zu viel, einfach zu viel. War das hier ein Albtraum? Natürlich war das ein Albtraum, aber der Geruch? Akira schrie wieder, doch dieses Mal war es mehr ein Kreischen. Dann stürmte sie einfach los, riss das Fenster auf und sprang hinaus. Es war nur der erste Stock, sie konnte sich also abrollen. In ihrer Panik kam sie jedoch falsch auf und spürte einen dumpfen Schmerz in ihren Fuß und brach zusammen. Die ganze Gasse schien auf einmal bedrohlich, es war so dunkel hier und alles stank nach Verwesung. Warum war ihr das nicht früher aufgefallen? Akira rappelte sich mit einem unterdrückten Aufschrei auf und stürmte los, während ihr Tränen über die Wangen liefen. Der Anblick geisterte immernoch in ihrem Kopf. Was war hier geschehen?
Akira rannte um die nächste Ecke. Die Straßen waren verlassen. Warum waren alle Straßen verlassen? Wo waren die, die hier lebten? Sie hörte schnelle Schritte hinter sich, jemand folgte ihr und kam schnell näher. Akira humpelte noch immer, doch wagte weder sich umzusehen, noch ihr Tempo zu verringern, obwohl die Schmerzen in ihrem Fuß langsam unerträglich wurden. Dabei weinte sie verzweifelt und in dieser abstrakten Situation wurde ihr klar, dass ihr Kennan doch etwas bedeutet hatte.
Sie wusste, dass sie ihrem Verfolger nicht entkommen konnte, also begann sie zu schreien: "HIILLLFEEE!", schrie sie in schriller Panik "HIILLFEEE, BITTE HELFT MIR!!"
Die Menschen hier halfen normalerweise nicht, es gab so viele, die Gewaltszenen von ihren sicheren Häusern aus beobachteten, wehrlose Mädchen, aber auch Jungen, von Wegelagerern und Banden überfallen und verschleppt oder auf offener Straße verprügelt, das alles gehörte hier zum Leben und keiner dachte auch nur darüber nach seine Haut zu gefährden, um einen bewaffneten Straßenräuber davon abzuhalten, zu tun, was seine Gier von ihm verlangte. Trotzdem schrie sie weiter. Vielleicht war ein Gruppenmitglied in der Nähe, vielleicht hatte ihr Verfolger Angst, außerdem konnte das Reichenviertel nicht mehr fern sein. Dann, wie durch ein Wunder, wurden die Schritte leiser, Akira lief noch ein bisschen weiter, dann wagte sie es sich umzusehen. Tatsächlich, sie war alleine auf der Gasse. Als sie sich sicher war, dass hier tatsächlich niemand lauerte, hockte sie sich einfach auf den Boden und versenkte ihren Kopf zwischen ihren Knien, ihre Schultern bebten. Malhir war ihr Meister, doch Kennan war so etwas wie ein Vater gewesen, sie hatte nie eine wirkliche Familie gehabt, außer ihm, und nun...
Dann ließ sie den Tränen freien Lauf.
_________________________________________________________
@Alle: Falls irgendwer in der Unter oder Mittelschicht auf dem Weg zum Teehaus die Schreie gehört hat, kann er kommen. Ansonsten werde ich mich nachher selbst auf den Weg machen.