Brandon hatte in Iridae nichts zu tun, er musste stattdessen nach Syvicis. Er sagte, er könne auf seinem Pferd noch heute Abend abreisen, um zu erledigen, was zu tun war, und sich dann in Pysajel wieder der Gruppe anschließen. Und was genau hatte er zu tun? Einen Schmied wollte er finden, der ihm ein Schwert aus Dämonenstahl schmieden könnte.
"Eigentlich kannst du dir den Umweg sparen." sagte Korina zu ihm.
"Ein Schwert zu schmieden dauert eine Weile. In Iridae besuche ich eine Schmiedin, die unter anderem Dämonenstahl verarbeiten kann. Dort könntest du genauso gut dein Schwert herkriegen, ohne dass dir eine Sanduhr im Nacken sitzt." Brandon erklärte daraufhin aber, dass er auch noch nicht das nötige Dämonenherz besaß. Das war natürlich ein Problem.
"Dann pass mal besser auf, dass du noch rechtzeitig nach Pysajel kommst. Wär beschissen, wenn wir am Hafen Zeit verschwenden und dann Noires Vater nicht retten können, weil die SH uns schon wieder an die Leine nimmt." warnte sie den Ex-Ritter.
Nun war ja wohl alles geklärt, bestimmt würden sie gleich morgen früh nach Pysajel aufbrechen, um von da aus ein Schiff in Richtung Iridae zu besteigen. Bevor Korina zu Bett ging, wollte sie noch einen kleinen Spaziergang machen. Es gab nämlich noch eine Sache, die sie in Killius-Stadt zu erledigen hatte, bevor die Gruppe abreiste.
Sieben. Nach so vielen Leben hungerte die Rabenklaue inzwischen. Nur noch fünf Tage, bis es sich an Korinas Blut laben würde. Es bestand zwar die Möglichkeit, dass die Gruppe auf dem Weg nach Süden einigen Banditen über den Weg liefen, die leichte Beute sein würden, aber Korina zählte nicht darauf. Augenscheinlich war die Gruppe nämlich nicht sonderlich wohlhabend, aber sichtbar bewaffnet, da würde kein Wegelagerer, der wenigstens zwei Gehirnzellen hatte, auf die Idee kommen, sein Glück zu versuchen. Und sobald sie auf dem Schiff zu der Inselnation Iridae waren, würde es auch unmöglich sein, mit Morden davonzukommen. Korina musste den Hunger ihres Schwertes also jetzt stillen. Da es sieben Leben verlangte, würde eine Energiespende von Lauriam bestimmt nicht ausreichen, deshalb ging Korina auf Erntetour.
Mit einer kleinen Laterne in der Hand lief sie durch die schmutzigen Gassen in den hintersten Ecken des Untergrundes. Verdächtige Gestalten warfen ihr anfeindenden Blicke zu, hielten sich aber von ihr fern, denn ihn der anderen Hand trug sie ihr schwarzes Schwert. Hier würde sie bestimmt auf ein paar gute Opfer stoßen: Verbrecher, die kein aufrechter Bürger vermissen würde, und deren Tod man für üblich Bandenkriegen oder Selbstjustiz zuschrieb.
"Seht mal an, Männer, da haben wir ja heute was ganz wertvolles gefunden." hörte Korina eine grobe Stimme aus einer Seitenstraße.
"Wer so dünne Arme hat, hat noch nie nen Tag in sienem Leben gearbeitet. Kind aus reichem Hause also." fuhr er fort.
"Hast dich aus dem Haus geschlichen, um mal einen drauf zu machen, was? Papa wird bestimmt ne Menge Kohle rüberschieben, um dich zurückzukriegen." meinte ein anderer.
"Also, wenn du unverstümmelst heim willst, sagst du uns besser mal, wie du heißt, Junge."
Korina war drauf und dran, reinzustürmen, um den jungen Mann zu retten, und schließlich trafen die Zeitgenossen, die ihn bedrängten, genau auf ihre Beutekriterien zu, doch sie hielt inne, als sie
diese Stimme hörte:
"Oh, glaubt mir, ich würde liebend gern mal wieder zu meinem Vater zurück, allerdings finde ich auch ohne Maden wie euch zu ihm." erwiderte Séamus höhnisch auf die Androhungen der Verbrecher,
"Schmutz wie ihr, deren Verbrechen nur dem Eigennutz dienen, wird er abschlachten."
"Du verlogener Hurensohn, red nicht so über uns!" rief der Anführer der Gangster und wollte wohl zum Schlag ausholen, als er plötzlich in Panik geriet.
"Ist der grad geschrumpft? He, was ist die Pfü-AAAAAHH!" Mit einem Schrei endete sein Leben, und Korina mischte sich jetzt auch in den Kampf ein. Als Dämon war Séamus diesen Leuten wohl klar überlegen, da wurde nichts aus der Hoffnung, dass er ein paar ernste Wunden davontrug. Besser, jetzt noch ein paar Leute zu töten, bevor er alle Hirne wegpustete.
Der Anführer war von einem Stachel aus Dunkelheit erstochen wurden, erdolcht von Séamus, der soeben mit dem Oberkörper aus einer Wand lugte. Was darauf folgte, konnte man keinen Kampf nennen, eher ein Massakar, denn gegen zwei starke Gegner wie einen Dämon und eine Serienkillerin hatten selbst diese abgebrühten Schurken keine Chance. Sie besaßen keine besonderen Fähigkeiten und waren im Kampf nicht geübt, sie verließen sich auf rohe Kraft und bedrohliches Auftreten und waren im Angesicht eines richtigen Gegners beinahe wehrlos. Genau die Sorte von Gegnern, wegen denen Korinas Fähigkeiten in den letzten zwei Jahren verkümmert waren. Jetzt konzentrierte sie sich auf schnellere, subtilere Bewegungen, aber sie hatte das nicht mehr antrainiert, weswegen sie dieser Kampfstil im Moment noch verlangsamte. Da musste sie noch hart arbeiten. Während des Kampfes fiel ihr auch auf, dass Séamus die Straßenräuber zwar verletzte, aber nicht tötete. Wahrscheinlich wollte er ganz sicher gehen, dass Korina das Schwert füttern könnte, damit sie auch ja überleben würde, bis seine Schwester frei war.
Schließlich kehrte Ruhe ein in der Gasse, und das Schwert war fast satt, sechs Menschen hatte es soeben niedergestreckt. Séamus kehrte in seine Menschenform zurück und formte Schatten zu einer kruden, beilartigen Schneide, mit dem er die Arme und Beine des Anführers abzuhacken begann.
"Ich ess ja normalerweise deine Opfer," erklärte er,
"aber du hast mich mal wieder ne gute Weile hungern lassen, da hab ich mir etwas Abschaum der Gesellschaft gesucht, um mich daran zu laben... he, was schaust du mich so an? Du suchst dir Opfer auf die gleiche Weise auf."
Mit verschränkten Armen schwieg Korina einen Moment, bevor sie
"Ich hasse es, wenn du recht hast." erwiderte.
Séamus hatte jetzt die Gliedmaßen des Anführers abgetrennt und wickelte sie in Zeitungspatpier, dass er aus einer Tasche seines Mantel zog.
"Schön, mal wieder Frischfleisch zu haben, an den Leichen, die die Rabenklaue hinterlässt, ist nicht mehr viel Energie dran, da muss ich mich oft überfressen. Ach ja, übrigens, bestimmt hast du ja schon deinen Informanten getroffen, wo geht's als nächstes hin?"
"Iridae. Dort finde ich das Ritual. Du bleibst gefälligst auf dem Festland, Wichser."
Jetzt versteckte er das Menschenfleich in seinem Mantel, und sie verließen den Tatort.
"Och, nö, ich komm natürlich mit, schließlich darf ich dich nicht zu lang aus den Augen lassen. Und weißt du was, ich drück dir sogar die Daumen, dass du es schaffst. Um ehrlich zu sein, als du damals das Schwert gekriegt hast, hätte ich nicht erwartet, dass du lange durchhältst. Aber du hast es so weit geschafft, viel weiter als die meisten. Ich würds dir wirklich gönnen, den Fluch zu brechen und dann in Frieden von dannen zu gehen. Und ehrlich gesagt, ich hab nichts zu verlieren, wenn ich dir von nun an ein bisschen direkter helfe. Du willst deine Freiheit, ich will meiner Schwester die Freiheit geben. Und sobald du den Fluch los hast, wirst du mein "Arschgesicht" wie du es so liebevoll nennst, nie wieder sehen, versprochen. Also, haben wir einen Deal?" Er streckte lächelnd die Hand aus.
"Lass deine Dreckspfoten stecken. Aber abgemacht. Auf dass du viel schneller aus meinem Leben verschwindest. Morgen geht die Reise los. Wir werden nicht auf dich warten. Und übrigens..." Korina fiel noch was ein.
"Dieser Vater von dir ist wohl auch der Meister was? Du behauptest, er stiftet Leute für das größere Wohl zum Massenmord an, da ist er wohl auch die Art von Mensch, die "Schmutz" im großen Stil abschlachtet."
Der Dämon machte kurz ein überraschtes Gesicht, bevor er sich wieder fing.
"Gut kombiniert. Mit der Geheimnistuerei hats wohl ein Ende. Japp, ich bin ein Familienmensch. Oder Dämon, wasauchimmer. Stört es dich, wenn dass ich meinen Verwandten noch unter die Augen treten kann?"
Korina machte sich nicht mal die Mühe, mit dem Schwert nach ihm zu schlagen, das würde ihn nur belustigen. Sie warf ihm nur einen eiskalten Blick zu.
"Wenn er seinen eigenen Kindern einbläut, töten für ein "größeres Wohl" wäre gut, ist er ja ein noch größerer Scheißhaufen, als ich dachte. Wird spaßíg, ihm die Fresse zu polieren." Dann wandte sie sich um und kehrte zur Herberge zurück.
Séamus entschied sich, nicht mit ihr zu gehen. Erstens war die Sache eben dann doch noch ziemlich schlecht gelaufen, zweitens würde Nakoa ihm wohl die Hölle heiß machen, und drittens musste er sowieso noch sein Abendessen verspeißen.
___________________
@Pseudo: